8) Wilde Tiere und kalte Bäche - die Hälfte ist geschafft
- Yann Roma
- 5. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Juni

Von Mammoth Lakes ging es weiter – immer noch zusammen mit Oliver – um den letzten Abschnitt der Sierras zu meistern.
Zuerst führte uns der Weg Richtung Donohue Pass, wo auch der berühmte Yosemite National Park beginnt.
Auf dem Weg dorthin hatte ich bei einer kurzen Verschnaufpause im Wald eine interessante Begegnung: In etwa 30 Metern Entfernung sah ich etwas bewegen. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich einen Kojoten. Kurz darauf entdeckte er auch mich – und schwups, war er wieder verschwunden.
Als wir den verschneiten Donohue Pass erreichten, ging es auf der anderen Seite hinab in ein wunderschönes Tal mit einem sich schlängelnden Bach. Im Yosemite Nationalpark gibt es einen Abschnitt, in dem das Zelten verboten ist. Deshalb haben wir unser Lager kurz davor direkt am Bach, zwischen den Bäumen, aufgeschlagen. Das Wetter wusste nicht so recht, was es wollte: Mal schien die Sonne, dann fiel kurz Schnee, dann wieder Sonne. Eine mystische Stimmung lag in der Luft.
Nach einer kurzen Tagesbesprechung mit Oliver ging ich in mein Zelt, um etwas zu essen. Kurz darauf hatte ich eine weitere unglaubliche Tierbegegnung: Ich drehte mich um, um aus dem Zelt hinauszuschauen – just in diesem Moment flog ein Adler etwa 15 Meter vor mir über den Bach und verschwand im Wald. Ein unvergesslicher Augenblick.
Am nächsten Tag ging es weiter. Auf diesem Abschnitt der Sierras müssen regelmässig Bäche überquert werden. Durch das viele Schmelzwasser kann das manchmal zur Herausforderung werden. Doch es gibt immer eine Lösung: Entweder balanciert man über Baumstämme oder Steine, oder – wenn gar nichts hilft – läuft man einfach durchs Wasser.
Die wohl eindrücklichste Bachüberquerung erlebten wir gegen Ende des Parks: Morgens um 4 Uhr durchquerten wir einen besonders breiten und tiefen Bach. Das Wasser reichte uns bis zur Hüfte. Wir trugen unsere Rucksäcke über dem Kopf – bloss nicht umfallen! Meine Elektronik, insbesondere die Kamera, hatte ich vorher noch wasserdicht verpackt. Die Strömung war nicht allzu stark, sodass wir sicher ans andere Ufer kamen. Es war eiskalt, aber ich war froh, diese Überquerung nicht am Nachmittag gemacht zu haben – mit mehr Schmelzwasser wäre sie sicher gefährlicher gewesen.
Der Yosemite National Park
Der Yosemite Nationalpark gehört zu den bekanntesten Nationalparks der Welt. Er ist berühmt für seine beeindruckenden Granitfelsen wie El Capitan und Half Dome, für gewaltige Wasserfälle, uralte Mammutbäume und eine beeindruckende alpine Landschaft. Jahr für Jahr besuchen rund 3,5 bis 4 Millionen Menschen den Park – ein echtes Natur-Highlight in Kalifornien.
Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich bei der gesamten Durchquerung des Parks keinen einzigen Menschen getroffen habe – ausser meinem Laufpartner Oliver? Einen weltberühmten Nationalpark ganz für sich allein zu haben, ist etwas ganz Besonderes – und ich habe es sehr genossen. Grund dafür war, dass in diesem Teil des Parks die Strassen noch gesperrt waren. Ein Privileg zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Der letzte Sierra-Abschnitt
Auf dem letzten Teil der Sierras wechselten sich schneefreie Abschnitte mit verschneiten Traversen ab. Es ging ständig ein wenig auf und ab. Da wir immer noch in der Nacht starteten, wurden wir regelmässig mit atemberaubenden Sonnenaufgängen belohnt.
Genau zwei Monate nach dem Start auf dem PCT erreichte ich South Lake Tahoe – das Ende der Sierras und der Beginn Nordkaliforniens. Dort gönnten wir uns eine wohlverdiente Pause. Es war Wochenende und gleichzeitig Memorial Day in den USA – entsprechend viele Menschen waren unterwegs. Nach über drei Wochen fast ohne Begegnungen fühlte sich das richtig komisch an.
Von South Lake Tahoe nach Sierra City
Auf der Website postholer.com kann man nachsehen, wo noch wie viel Schnee auf dem Trail liegt. Nach Sichtung des aktuellen Berichts beschlossen wir, weiterhin nachts zu starten, um dem weichen Schnee tagsüber zu entgehen. Diese rund 4,5 Tage waren psychisch herausfordernd – ich hatte einfach genug vom nächtlichen Laufen und vom Schnee. Umso erleichterter war ich, in Sierra City anzukommen.
Dieser Abschnitt verlief teilweise durch Wald, teils über kleinere Berge mit Ausblick auf den Lake Tahoe und vorbei an einem Skigebiet.
Ab jetzt ohne Wecker
Ab jetzt stelle ich keinen Wecker mehr. Wie schön! Ich kann morgens so viel Zeit lassen, wie ich will, und gemütlich in den Tag starten. Die nächsten Etappen führen oft durch Wald – oder was davon übrig ist. Leider sieht dieser Abschnitt nach dem Dixie-Waldbrand 2021 teilweise sehr traurig aus: Überall verbrannte und umgestürzte Bäume.
Auf einem rund 10 km langen Abschnitt, der bis heute nicht gepflegt wurde, mussten wir über Hunderte von umgestürzten Bäumen klettern, unter ihnen hindurchkriechen oder sie weiträumig umgehen. Über etwa 2 km war der Trail so überwuchert, dass wir ihn nur noch per GPS finden konnten.
Am 70. Tag auf dem Trail kam es zu einer weiteren unglaublichen Tierbegegnung. An diesem Morgen laufe ich gemütlich, den Blick auf den Trail gerichtet, als ich plötzlich ein seltsames Geräusch höre – eine Art Fauchen. Ich hebe den Blick – und etwa 30 Meter vor mir sehe ich einen Puma davonlaufen. Ich blieb erst einmal wie angewurzelt stehen. Ich wusste zwar, dass es hier Pumas gibt – aber wirklich damit gerechnet habe ich nicht. Was für ein Erlebnis!
Halbzeit!
Zwei Tage später erreichten wir den PCT Halfway Marker – die offizielle Hälfte des Pacific Crest Trail! Kaum zu glauben, dass schon die Hälfte vorbei ist. Und gleichzeitig ist es immer noch ein weiter Weg bis Kanada.
Nur einen Tag später durchquerten wir den Lassen Volcanic Nationalpark. Der Park ist einer der wenigen Orte weltweit, an dem alle vier Arten von Vulkanen vorkommen: Schildvulkane, Schlackenkegel, Lavadome und Stratovulkane. Besonders eindrucksvoll ist der aktive Lassen Peak – ein Vulkan, der zuletzt 1915 ausgebrochen ist. Auch heute noch dampft und brodelt es an manchen Stellen des Parks – ein Fenster in die geologische Vergangenheit der Erde.
Leider machte mir an diesem Tag mein Körper zu schaffen: Meine Füsse waren angeschwollen. Morgens ging es noch halbwegs, aber gegen Nachmittag wurde es schlimmer – am Abend konnte ich kaum noch laufen. Eigentlich wollte ich noch 1,5 Tage weitergehen und dann in Burney eine Pause einlegen. Jetzt musste ich die Pause vorziehen und hoffe, dass meine Füsse sich bald erholen.
留言